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Interpretation des Gedichtes „Lieblich...“  - Eine eigene Auslegung durch den Verfasser    

 

Gedicht v. W.Kerkhoff

 

Lieblich sind die Juninächte?

"Lieblich sind die Juninächte,"

spricht in Dreizehnlinden der Poet.

Meinte er die zarten Rosen, 

deren Duft die Jahreszeit umweht?

Doch, was ist daran so lieblich,

wenn bei ihm die Rose, jede rot, in ihrem Blut vergeht?

Oder ist ´s das Küssen und das Kosen?

Doch in Webers Dichterei verdecken                                                                             

des Lenzens letztes Werben

drohend diese hellen Nächte,

und die Nachtigallen klagen um sein Sterben.

 

Nicht immer sind ´s die dunklen Mächte,

die  alles unheilvoll aufwecken.

Du fühlst, es hat sich was verschworen 

gegen dich und mich.

Monate und Jahre gehn verloren.

Mut und Kraft? 

Irgendwann verschwunden.

Einer bleibt zurück - 

Du oder ich. Geschunden.

Pech oder Glück!

 

Kommentar


Ausgangspunkt für mein Gedicht „Lieblich“  war ein Urlaub im Kärntner Land. Es war die Zeit nach dem Tod meiner Frau, die nach fast 50-jähriger Beziehung im Jahr 2000 starb. Jahrelang lebte ich in einem ziemlich desolaten Zustand und versuchte mich in Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten wieder zu finden. Die Überschrift des Gedichtes „Lieblich“ könnte neutral als eine thematische Leitidee, aber auch als eine Provokation zum meinem nachfolgenden Vers-Text ausgelegt werden. -

Die kurzen und duftschweren Nächte, die ich während des Campingaufenthaltes im Kärntner Land allein, ja in dem Gefühl der Einsamkeit,  im Juni 2003 erlebte, erweckten in mir zarte Erinnerungen an meine Frau, mit der ich hier auch auf der Fahrt nach Rom geweilt hatte, und zunächst sehnsuchtsvolle, fast euphorische Gefühle, die aber schnell wieder einer depressiven Stimmung wichen.

In einer dieser Juninächte tauchte der Vers „Lieblich sind die Juninächte“  in meinem Kopf auf  - mit einem Schwall von Gedanken: Da war das Epos „Dreizehnlinden“, in dem dieser Vers stand, aber wo stand es in meinem Bücherschrank zu Hause? Hieß es wirklich Juninächte? Oder Maiennächte? Waren es dunkle oder helle Nächte, von denen in den weiteren Versen die Rede war? Erinnerungen an die Rheiner Schulzeit - Oberstufe, in der wir Schüler „Dreizehnlinden“ lasen und die Linde und das Kloster „Dreizehnlinden“ während einer Klassenfahrt  aufsuchten. Mir fiel ein, dass meine Frau und ich hin und wieder „Dreizehnlinden“ hervorgeholt hatten und darin lasen.  Auch in ihrer Schulzeit war „ Dreizehnlinden“ Lesestoff gewesen.

Als ich wieder von meiner Urlaubsreise zurückgekehrt war, fand ich Webers „Dreizehnlinden“  sehr schnell in meinem Bücherschrank, auch den gesuchten Vers. “Lieblich sind die Juninächte“  hieß er. Begierig las ich die nachfolgenden Verse bei Weber. „Wenn des Abendrots Verglimmen…“( Dreizehnlinden. Warendorf i.W. o.Jahr, Verlag Peter Heine & Co..,S.43) Die Rosen – Symbole der Liebe -  und die Nachtigall –die kleinen Troubadouren  der Liebe - tauchen auf, werden von Weber mit Blut und Weinen verbunden und damit desillusioniert, werden Antipoden zu den lieblichen Nächten. Der Frühling lächelt sterbend, er wirbt für sich bis zuletzt, aber er stirbt.  Es ist ein langes Sterben, ehe er dem Sommer weicht. -

Es sei in diesem Zusammenhang nur kurz auf eine weitere Parallele zu dem Tod meiner Frau verwiesen.  Meine Frau war im Sarg auf roten Rosen gebettet, ein sanftes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sechzehn Jahre hatte sie sich erfolgreich gewehrt gegen das endgültige Gehen. -

Das kontrastierte Bild des Abschieds bei Weber – lieblich, ineinander schwimmen gegenüber Blut, weinen - machte mich betroffen. In meinem Gedicht sah das so aus:

 

 Doch, was ist daran so lieblich.

wenn bei ihm die Rose, jede rot, in ihrem Blut vergeht? (Winfried  Kerkhoff, Verf.)

 

Es empörte mich sogar ein wenig, bis ich begriffen hatte, dass der Dichter Weber hier als Seher sprach, der in den Gaben des Monats bzw. der Jahreszeit den Abschied erkannte, während allgemein die Menschen schon den Vorsommer – vielleicht vorschnell – feiern. 

 

Oder ist´s das Küssen und das Kosen? (W.K., des Sommers)

 

Erinnerungen an das schmerzvolle Abschiednehmen meiner Frau von uns, an unseren Abschied von ihr. Sogar das ineinander Verschwimmen von Abend und Morgen bei Weber (die hellen Nächte) wirkten auf mich bedrohend – man denke an das blendend-gleißende Licht des Autoscheinwerfers, an den Ruf: „Es brennt!“. Beides lässt alles andere im Moment des Erschreckens vergessen.

Doch in Webers Dichterei verdecken

des Lenzens letztes Werben

drohend diese hellen Nächte,

und die Nachtigallen klagen um sein Sterben. (W.K.)

Meine Auseinandersetzung mit Webers Versen enden mit der Feststellung:

Nicht immer sind´s die dunklen Mächte,

die alles unheilvoll aufwecken. (W.K.)

Aber in dem Falle meiner Frau und von mir schienen es wohl dunkle Mächte zu geben:

Du fühlst, es hat sich was verschworen 

gegen dich und mich. (W.K.)

Mit diesen Versen wird der Bezug zu meinem bzw. unserem persönlichem Schicksal gesetzt. Die Folgen des Schicksalschlages:

Monate und Jahre gehn verloren. (W.K.)

 

Das Partnerleben gestört, das Familienleben  eingeschränkt. Hinter solchen Dramen verbergen sich oft allgemein Unglück, Leiden, Arbeitslosigkeit!

Mut und Kraft? 

Irgendwann verschwunden. (W.K.)

Was bleibt, wenn Mut und Kraft schwinden? Bleibt die Beziehung, das Küssen und das Kosen? Bleibt die Liebe oder nur die Pflicht?  Oder das nicht mal! Es kommt zu einer Beziehungskrise, in der beide Betroffenen arg belastet werden. Bezogen auf meine Situation waren es viele Jahre chronischer Krankheit meiner Frau mit absoluter Abhängigkeit vom sozialen Umfeld und viele Jahre intensiver Pflege. In solchen oder ähnlichen Fällen überlebt oft nur einer, der Pfleger, weil der Zustand des Partners sich verschlechtert - oder der Zupflegende, weil z.B. der gesunde Partner sich übernimmt.

 Einer bleibt zurück - 

Du oder ich. Geschunden. (W.K.)

Gleich, wer überlebt, er ist der, der angeschlagen zurückbleibt. Allein, hilflos, seelisch traumatisiert würde die Psychotherapeuten sagen.

Pech oder Glück! (W.K.)

Diese Feststellung, keine Frage, hört sich sarkastisch an und ist sarkastisch gemeint! Ist der, der Glückliche, der überlebt? Oder hat er Pech, dass er so „erledigt“ zurückbleibt? Hat der, der sich vorzeitig verabschieden muss,  etwa Pech, weil er ( oder sie) lieber bei dem Partner geblieben wäre? Oder sollte er (oder sie ) sich glücklich schätzen, dem Erdenleiden entronnen zu sein? Sind das Sichtweisen, die von Außenstehenden gefällt werden und unterschiedlich ausfallen müssen, die letztlich aber gar nicht zu treffen sind? Sondern nur von den Betroffenen selbst? Und ist nicht gebührendes Schweigen gegenüber der persönlichen Lage des Betroffenen von den Außenstehenden gefordert?

 

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